Dieser Beitrag entstand für das Uni-Projekt StraightouttaHörsaal. Der Originalbeitrag kann hier abgerufen werden. Außerdem war ich an diesem Beitrag für dasselbe Projekt beteiligt. 

Die Inszenierung von Elfriede Jelineks Rechnitz (Der Würgeengel) im Volkstheater ist irgendwo zwischen Beyoncé und Geschichte, irgendwo zwischen Angst vor der Menschheit und einer Aufführung ohne Hemmungen und Längen.

Aber starten wir von vorne. Mit Rechnitz arbeitet Jelinek das Massaker in eben jener Ortschaft an der ungarischen Grenze auf. In den letzten Atemzügen des Zweiten Weltkrieges kam es hier in einer Nacht und Nebelaktion zu einer Massenerschießung mit bis zu 200 Opfern. Nie wurden die Leichen gefunden. Auch die in der Nachkriegszeit eröffneten Verfahren führten kaum zu Ergebnissen. Darauf hin hat die Gesellschaft Rechnitz wieder aus ihren Gedanken gestrichen. Jedenfalls bis sich in den 90er Jahren eine erneute Aufarbeitungskultur gebildet hat. 2008 nahm sich schließlich Elfriede Jelinek mit Rechnitz(Der Würgeengel) der Thematik an. Für das Stück erhielt sie den renommierten Mühlheimer Dramatikpreis.

Die Geschichte wiederholt sich

2016 kommt das Stück, inszeniert von  Nestroy-Preis Träger Miloš Lolić, ins Wiener Volkstheater. Dabei verliert es nichts an seiner Wirkung. Es wird sehr schnell klar, wie schnell die Gesellschaft in einer Spirale aus Hass und Ignoranz versinken kann. Schon im ersten Bild zeigt uns Rechnitz, dass sich Geschichte wiederholen kann.

Sie fängt jeden Tag neu an,
die Geschichte,
in Anderen .

Das Ensemble

Das minimalistische Ensemble – Lolić kommt mit 8 Schauspielern aus – trägt das Stück dabei mit ihrer großartigen Bühnenpräsenz. Man schafft es nicht, sei es auch nur für einen Moment, den Blick von der Bühne abzuwenden. Die Protagonisten erzählen als  Boten von dem Massaker und werfen dabei die Frage nach ihrer eigenen Glaubwürdigkeit auf. Wem ist der Bote treu? Wessen Bild der Geschichte erzählt er uns? Wie wahr ist seine Wahrheit? Außerdem spielen sie konstant mit ihren eigenen Geschlechterrollen. Wer in dem Stück Mann sein soll, und wer Frau vergisst man schon nach dem ersten Bild.  Spätestens, wenn der Eingangsmonolog abgeschlossen ist und das ganze Ensemble zu einem Beyoncé-Video werden.

Parallelen

Diese musikalischen Unterbrechungen kommen immer wieder vor. Immer, wenn die Musik das Geschehen ersetzt wird dem Zuschauer die Skurrilität und die Obszönität der Lage bewusst. Nur um danach wieder einzusteigend in die grausamen Details des Massakers. Getragen wird dieser Widerspruch auch durch die Auflösung der Sprache. Jelinek dekonstruiert sich selbst an vielen Stellen. Man bekommt sehr schnell das Gefühl, dass jedes Wort, jeder Ausspruch die Wahrheit weiter vom Zuseher entfernt.

Was man hier begangen hat, muss übergangen werden

Fazit

Doch der wichtigste Punkt am Stück ist wohl, wie klar einem wird, dass wir wohl nicht in der Lage sind, aus der Geschichte zu lernen. Jelinek hält uns dazu mit ihrer sehr harten direkten Sprache den Spiegel vor und Lolić führt uns die surreal anmutende Obszönität der Realität vor Augen. Gepaart mit einem fantastischen Ensemble ist Rechnitz(Der Würgeengel) ein Muss. Mir hat es gerade durch den Mix aus Party und Exzess, Rausch und Gewalt, wie es der Regisseur beschreibt, die Augen geöffnet. Wir sind als Gesellschaft eben doch nicht so weit, wie wir es in unseren Filter-Bubbles gerne vorgeben zu sein. Latenter Rassismus, Sexismus und Transphobie sind immer noch ein Teil unserer Gesellschaft. Packt euch also Freunde und Familie und geht mit ihnen in Rechnitz. Wir brauchen diesen Spiegel, den uns niemand so vorhalten kann, wie die Kunst.

Termine und Vorverkauf findet ihr unter: http://www.volkstheater.at/stueck/rechnitz-der-wuergeengel/

Das Stück ist in einer Sammlung an Theaterstücken erschienen und kann hier bei:
Thalia Österreich*
Thalia Deutschland*
Hugendubel*
bestellt werden.

Restkarten für Studierende gibt es an der Abendkassa für 6€

Mario Moser

Bildrechte: Steffi Krautz, Kaspar Locher, Claudia Sabitzer, Sebastian Klein, Thomas Frank, Birgit Stöger, Katharina Klar © www.lupispuma.com / Volkstheater

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